Heldinnen © Kristina Paukshtite

Heldinnen © Kristina Paukshtite

Brauchen wir Held*innen?

Es heißt immer wieder, wir brauchen Vorbilder, Identifikationsfiguren oder eben Held*innen. Doch brauchen wir sie wirklich? 

Dagmara Budak

Ich hege große Bewunderung für Gisèle Pélicot. Ich bin damit nicht alleine – Mme Pélicot wird scheinbar weltweit für ihre Stärke und ihren Mut verehrt. Ich weiß nicht, wie es anderen geht, aber neben Bewunderung verspüre ich auch eine gewisse Genugtuung. Wo sonst Opfer von sexualisierter, häuslicher oder gleich welcher Art von männlicher / patriarchaler Gewalt verhöhnt, pathologisiert und für unglaubwürdig erklärt werden, wird hier ein Opfer – und ich glaube, ich übertreibe nicht – zur (feministischen) Heldin erklärt.

Es heißt immer wieder, wir brauchen Vorbilder, Identifikationsfiguren oder eben Held*innen. Doch brauchen wir sie wirklich? Held*innen-Figuren können im Kampf gegen schier unbesiegbare Gegner*innen durchaus als Motivator*innen oder Initiator*innen hilfreich sein, sie können jedoch auch bestehende Probleme reproduzieren.

Held*innen sind immer einzelne, besondere Individuen, die herausgehoben werden, um sie über andere zu stellen – und schon sind wir bei Hierarchien. Sind Hierarchien nicht das Gegenteil von Gerechtigkeit? Sind Hierarchien nicht das Gegenteil von Freiheit? Das Gegenteil von Feminismus? Haben wir nicht genug Held(*inn)engeschichten? Der Kapitalismus hat alle Kämpfe individualisiert, auch die feministischen. Der Feminismus war von Anfang an als kollektiver Kampf gedacht. Auch wenn die Idee des kollektiven Kampfs aufgrund von Partikularinteressen nie vollumfänglich umsetzen werden konnte, ist ein feministischer Kampf auch heute nicht anders denkbar – die Praxis ist leider eine andere. Der Feminismus ist weitestgehend individualisiert und kapitalisiert. Was wir nicht brauchen, sind noch weitere exponierte Individuen, die Kämpfe führen, die sie nicht gewinnen können, weil sie von Individuen nicht gewonnen werden können.

Mme Pélicot sagt, sie möchte etwas in Bewegung bringen, eine gesellschaftliche Veränderung bewirken. Im Prozess führt sie jedoch in erster Linie einen ganz persönlichen Kampf gegen ihre Peiniger, sie führt keinen Feldzug gegen das Patriarchat und seine Gewalt gegen Frauen, auch wenn sich das für einige so anfühlt. Das ist kein Kampf für eine einzelne Frau, für einen einzelnen Menschen. Wir brauchen keine Held*innen und Einzelkämpfer*innen. Wir brauchen keine Gisèle Pélicot. Wir brauchen Millionen Gisèle Pélicots! Wir brauchen ein globales Held*innen-Kollektiv! Ein Kollektiv, das patriarchale Strukturen und Institutionen gemeinsam dekonstruiert: vor Gericht, am Arbeitsplatz, Zuhause, in der Schule und an der Universität und an allen anderen privaten und öffentlichen Orten. Wir brauchen nicht die Exklusivität von Held*innentum. Wir brauchen die Inklusion einer gleichberechtigten Gemeinschaft, die gemeinschaftlich Macht und Herrschaft delegitimiert!

Der Kapitalismus und das Patriarchat brauchen die vereinzelte Held*in. Der Erfolg und Popularität einzelner Held*innen und ldentifikationsfiguren soll alle anderen dazu animieren, es ihnen nachzumachen. Es wird uns beigebracht, dass wir aus der Masse herausstechen, etwas besonders leisten, und dass wir uns Anerkennung erarbeiten oder gar erkämpfen müssen. Das führt zu der eben besagten Individualisierung von privaten, sozialen und politischen Kämpfen und zu individualisierten Einzelkämpfer*innen. Einzelkämpfer*innen, die Macht- und Herrschaftsansprüche stellen und die das Kollektiv (Community), das keines ist, nur noch für die Bestätigung ihrer Ansprüche braucht. Als Individuen werden wir die Beseitigung gegenwärtiger Unterdrückungssysteme und die Errichtung einer gerechten Gesellschaft niemals bewerkstelligen können. Auch als Kollektiv (das so noch nicht existiert), das Hand in Hand arbeitet, ist es ein nahezu unmögliches Unterfangen. Wir haben aber keine Wahl und der kollektive Kampf ist unsere einzige Chance.

Wie bereits gesagt, bewundere und wertschätze ich Gisèle Pélico. Was ich jedoch sowohl bei ihr als auch bei anderen Personen vermeide, ist ihre Stärke(n) zu glorifizieren. Das Gerede von „starken Frauen“ oder auch „mutigen Frauen“ nervt mich so dermaßen und zwar aus drei Gründen:

  1. Stärke und Mut sind im Patriarchat männlich konnotierte Eigenschaften. Wenn eine Frau als explizit stark und/oder mutig bezeichnet wird, werden damit in erster Linie vermeintlich männliche Merkmale gefeiert. Das impliziert: wenn Frauen – die als schwach, ängstlich und zaghaft im Patriarchat gelten – etwas Außerordentliches und von Bedeutung leisten, dann nur, weil sie sich vermeintlich männliche Eigenschaften angeeignet haben. 
  2. Dass Stärke und Mut so idealisiert werden, liegt nicht nur daran, dass wir im Patriarchat, sondern auch, weil wir im Kapitalismus leben. „Nur die Harten kommen in den Garten“, heißt die Devise. Harte Arbeit, Stärke, Risikobereitschaft und Durchhaltevermögen sind Eigenschaften mit denen vermeintlich es jede*r zum Vermögen oder Ruhm schaffen kann. Das ist natürlich eine Lüge, an die aber viele bereitwillig glauben wollen. Vielleicht weil wir keine wirklich realistischen Alternativen haben, um diese Glaubenssätze zu ersetzen.
  3. Es macht krank und Unglück immer stark sein zu müssen. Niemand kann das. Früher oder später zerbricht jede*r an dem Anspruch stets stark sein zu müsse. Es ist notwendig auch mal schwach sein zu dürfen, ohne dass alles gleich zusammenbricht, egal ob Zuhause, Arbeit oder Schule/Uni. Daher brauchen wir einander, damit wir uns (gleichberechtigt) abwechseln können im schwach und stark Sein.

 

Die Gefahr bei der Glorifizierung und Idealisierung von Menschen ist die, dass niemand den Ansprüchen gerecht werden kann, die in solchen Fällen an eine*n gestellt werden.

Jeder Mensch macht Fehler, ist mal ätzend, macht und sagt blöde Sachen. Das idealisierte Bild ist stets eine Illusion, die sehr schnell Gefahr läuft zu zerplatzen. Nur ein (vermeintlicher) Fehltritt und schon ist die Enttäuschung gewaltig. Menschen fühlen sich betrogen, sind verletzt und werden grausam, insbesondere dann, wenn es sich bei der Verursacher*in der Enttäuschung um eine Frau handelt. Denn nichts liebt das Patriarchat so sehr, wie gefallene Heldinnen.