Foto: Marianna Wytyczak

Florentina Holzingers Ophelia’s Got Talent oder die Macht von weiblichen Räumen

Liebe BÄM-Freund*innen,

Neulich hatte ich das große Glück, die ausverkaufte Vorstellung von Florentina Holzingers Ophelia’s Got Talent am Schauspiel Köln erleben zu dürfen. Zwei Jahre nach der Uraufführung war das Ensemble um die gefeierte Choreografin und Regisseurin für drei Gastspielabende in Köln. Ich muss zugeben, dass ich vorab etwas Respekt vor dem Stück hatte: Zuletzt sorgte Holzingers neues Stück SANCTA für skandalträchtige Berichte, weil es angeblich nichts für zarte Gemüter sei, dank sehr expliziter Darstellungen mit Blut und Selbstverletzungen (später mehr dazu, warum die aufgebauschte, effekthascherische Berichterstattung problematisch ist). Meine Schmerzgrenze bei Darstellungen von Blut und Gewalt ist ungefähr beim Tatort erreicht, Game of Thrones habe ich etwa zu einem Drittel mit der Hand vor den Augen „geschaut“. Ich war also auf alles vorbereitet und fühlte mich relativ sicher auf meinem Platz in den hinteren Reihen. Womit ich allerdings nicht gerechnet hatte, war die unglaubliche Wucht, mit der das Stück mich schon in den ersten paar Minuten packte – im positiven Sinn.

Schon das Bühnenbild war bold. Ein großer länglicher Swimming Pool, dahinter ein riesiges Aquarium mit Leitern an den Seiten, die nicht nur als Deko dienen sollten.
In Holzingers Stücken spielen nur weiblich gelesene und nonbinäre Personen mit und alle sind nackt, bis auf einzelne Accessoires. Die Vielfalt von Körpern – große, kleine, muskulöse, dellige, tätowierte, vernarbte, behaarte oder glatt rasierte, ältere und junge Körper mit und ohne Behinderung – ist umwerfend, und die Power, die sich zwischen diesen verschiedenen Mitgliedern des Ensembles entwickelt, ist es umso mehr.

Warum ist das so, woher kommt dieses Gefühl?, fragte ich mich später, und musste an einige unserer BÄM!-Veranstaltungen denken, bei denen wir etwas ähnliches verspürten. Es macht etwas mit der Energie im Raum, wenn sie von FLINTA getragen wird, wenn der Raum zum Safe Space wird, in den man sich für eine kurze Zeit zurückziehen und in dem man sich öffnen kann, ganz ohne Wertung.

Zurück ins Schauspiel Köln. Das Stück selbst ist ein ähnliches Cross-Over wie die Zusammensetzung der Truppe. Zuerst Talent-Show, in die Tanz- und Artistik-Elemente eingewoben werden, über Performance mit Live-Video-Übertragung, hin zu lauten Splatter-Action-Szenen, Live-Tätowier-Aktionen, Stunts und Wasserspielen. Wie einzelne Kapitel haben die aufeinander folgenden Sequenzen mythologische Frauenfiguren zum Thema – angefangen von Shakespeares Ophelia, die als Leidtragende patriarchaler Strukturen wahnsinnig wird und sich im Wasser ertränkt, über Leda, Melusine, Undine, Nymphen, Nereiden oder Sirenen. All diese verbindet in Holzingers Stück die Selbstermächtigung, mit der sie sich aus ihrem vorbestimmten Schicksal lösen. Keine geht gebrochen von der Bühne, sie durchleben Kämpfe und Attacken, helfen sich gegenseitig aus dem Wasser und verbinden sich in einer Schicksalsgemeinschaft.

Was das Stück so besonders macht, ist die Energie und Stimmung, die es nicht nur im Zuschauerraum erzeugt, sondern die man mit nach draußen nimmt. Das empowernde Gefühl, das Kunst in seltenen, aber so besonderen Fällen zu vermitteln weiß, eine Zuversicht und Stärke, die man mit in die Welt nehmen und weitertragen kann, besonders in Zeiten, die von schlechten Nachrichten und Hiobsbotschaften geprägt zu sein scheinen.

Und nun noch ein paar Worte zum oben angesprochenen Skandal, den Holzingers letztes Stück SANCTA, eine Auseinandersetzung mit patriarchalen Strukturen in der Kirche, auslöste. Das Stuttgarter Opernpublikum wusste vielleicht auch nicht, was es zu erwarten hatte, auch wenn das Stück bereits in Wien und Schwerin gelaufen war, ohne irgendwelche Zwischenfälle. Jedenfalls musste in Stuttgart mehrfach der Notarzt einschreiten, weil Menschen sich unwohl fühlten. Das und die Trigger-Warnungen zu Anfang („Die Inszenierung SANCTA beinhaltet Stroboskopeffekte, hohe Lautstärke, Weihrauch, explizite sexuelle Handlungen, Beschreibungen (sexueller) Gewalt, echtes Blut und Kunstblut, Piercingvorgänge und das Zufügen einer Wunde auf der Bühne“) reichten aus, damit es die katholische Kirche und konservative Medien auf dem Kieker hatten.

Als „lesbische Sex-Oper“ verunglimpft, die, so der katholische Stadtdekan von Stuttgart, „obszön Gefühle verletze und bewusst mit der mentalen Gesundheit von Menschen spielte“, ist das Stück mal wieder ein besorgniserregender Ausdruck davon, dass sich (manche) Männer in mächtigen Positionen von so viel weiblicher Energie, sexueller und körperlicher Selbstbestimmung und Religionsfreiheit dermaßen bedroht fühlen, dass sie im Gegenzug mit Drohungen um sich werfen (Florentina Holzinger wurde nach der Berichterstattung mit inquisitorischen Anfeindungen auf Social Media bombardiert), die Kunstfreiheit mal schnell zugunsten der politischen Korrektheit – oder besser, der Aufrechterhaltung patriarchaler Machtstrukturen unter den Teppich kehren und Verbote fordern.

Ähnliches ereignete sich bei Sophia Süßmilchs Ausstellung in Osnabrück, bei der die städtische CDU zum Boykott aufrief (ohne die Ausstellung selbst gesehen zu haben). Gerade jetzt, wo männliche Autokraten und rechte Parteien Diversity-Programme verteufeln, Frauenfeindliche Politik vorantreiben und linke Kunst- und Kulturprojekte nicht nur diffamiert, sondern existenziell bedroht werden, sind solche Kunstprojekte wichtiger denn je. Wir dürfen uns nicht nur herausnehmen, laut zu sein, Fantasien zu zeigen, Körper zu feiern, zu provozieren. Wir müssen es sogar!

Leonie Pfennig für BÄM!