„Also, dann ist es das Wochenende vom 3. Oktober 2024?“ Daumen-hoch-Emojis heften sich nacheinander an diesen Post. Im Gruppenchat mit einigen Freundinnen, die nicht in Köln wohnen, wird gerade ein Termin für das nächste gemeinsame Treffen gesucht. Auch ich klebe meinen gelben Pixeldaumen dran. Gleichzeitig verspüre ich einen diffusen Stich: Es ist Oktober 2023 – , ja: DREIundzwanzig – stört das keine außer mich, dass der gefundene Termin erst in EINEM f****ing Jahr ist? Finden das alle normal? Ist das jetzt halt einfach so? Und was passiert mit der Freundschaft bis dahin?
Eine andere Freundinnen-Konstellation – sehr viel näher beieinander wohnend – sitzt bei einem gemeinsamen Frühstücksdate beisammen. Wir sagen, wie krass das ist, dass wir uns zuletzt in dieser Kombo vor einem Jahr getroffen haben. „Ja, puh, das war deep, was?“ lache ich und meine damit, dass das letzte Treffen in einer ziemlich hitzigen Diskussion am Lagerfeuer um halb eins endete, maßgeblich befeuert von einer Sinn- und Lebenskrise meinerseits. Die anderen gucken sich an. „Hä, ja?“ Offenbar war das Erlebnis für sie nicht so einprägsam wie für mich. Wieder ein diffuser Stich, als sie sich gegenseitig bestätigen, dass man ja so vergesslich geworden sei und oft Inhalte von Gesprächen vergesse.
Wow, denke ich, nicht nur sind die Treffen sporadisch, sondern on top so sporadisch, dass Inhalte – selbst, wenn sie extrem relevant für mindestens eine Person sind – in Vergessenheit geraten? Oder bin ich jetzt diejenige, die übertrieben gekränkt ist und eine unrealistisch hohe Erwartungshaltung an die eigene Relevanz hat?
Ist das jetzt halt so? Wann wurde es so? Ich dachte, wir wären die Coolen. Bei denen das nie so wird.
Klar, nach dem Studium fühlte es sich irgendwie normal und logisch an, dass der tägliche Austausch sporadischer werdenden Updates wich. Die ersten ernsteren Jobs wurden ergriffen, jede wurschtelte so in ihrem Leben herum, hatte neue Kontakte, neue To-Dos. Doch mit der Zeit fiel mir auf, dass aus den Treffen, die damals noch halbwegs regelmäßig stattfanden – der Brunch mit den Mädels, der gemeinsame Wochenend-Trip – eine Art Hochdruck-Berichterstattungs-Insel wurde. Da trifft man sich zweimal im Jahr, unter Palmen mit Cocktails, und erzählt sich vom Leben jenseits der Insel – statt jenseits der Insel gemeinsam zu leben. Und das war noch vor den Kindern.
Vielleicht ist es einfach mein Problem, dass ich denke, fühle, finde, dass ein Arbeits- und /oder Familienleben nicht so viel Raum einnehmen darf, dass es Freundschaften – und ganz spezifisch FreundINNENschaften – verdrängt, bis sie nur noch wie ein Feigenblatt über der Tatsache liegen, dass der eigene Lebensmittelpunkt plötzlich aus Kernfamilie und/oder Arbeit besteht. Mir ist bewusst, dass mein Anspruch schnell in ein Momentum für die neo-liberale Selbstoptimierungsmühle umschlagen kann: Neben Lohn- und Care-Arbeit sowie der obligatorischen Selfcare, kommt nun noch der Acker der Freundschaft hinzu, der bearbeitet werden möchte. Damit er weiterhin Früchte trägt. Aber müsste es nicht gerade diese Ackerfläche sein, die auch mal brach liegen darf, wenn die Energie gerade woanders gebraucht wird? Die es einem nicht übelnehmen sollte, wenn die regelmäßige Bewässerung zu kurz kommt? Ja, klar! Ich will ja bloß nicht die Freundin sein, die mit ihrer Anspruchshaltung weiteren Stress evoziert; die sich selbst als so unverzichtbar wahrnimmt, dass sich doch alle freuen müssten, mit ihr endlich Zeit zu verbringen und ihren unfassbar klugen, witzig-eloquenten Ergüssen und Lebenskrisen lauschen zu dürfen.
Zusätzlich spreche ich aus einer privilegierten Position, die durch eine sehr flexible Arbeitszeitgestaltung immer viel Raum hatte für soziale Kontakte. Beispielsweise musste ich noch nie Urlaubstage dahingehend abwägen, ob ich sie für Urlaub mit der Familie oder einen Trip mit Freundinnen einsetzen will. Dennoch bilde ich mir selber ein, dass ich natürlich auch letzteres tun würde! Aber eventuell unterschätze ich, wie wertvoll Urlaubstage sich anfühlen, wenn sie wirklich identisch mit aller verfügbaren Lohnarbeits-freien Zeit sind. Also lässt sich das Problem am Ende doch wieder an der Lohnarbeit festmachen?
Früher habe ich belächelt, dass meine Eltern nur drei befreundete Pärchen haben. Regelmäßig wird gemeinsam gekocht, ausgegangen, ein Städte-Trip unternommen.
Ich begreife nun, wie besonders das ist. Diese drei engen Verbindungen, die seit Ausbildungszeiten bestehen – über Beruf (mit Schichtarbeit auch noch!), Kinder und inzwischen Kindeskinder hinweg – ringen mir plötzlich einiges an Respekt ab. Wie haben die das gemacht?
Während ich all diese Gedanken über einen längeren Zeitraum mit mir herumtrage, hat sich auf einmal wieder etwas verändert. Erneut so schleichend, dass ich nun mit klopfendem Herzen vorm Status quo stehe, denn plötzlich sind sie da: Die regelmäßigen Podcast-Sprachnachrichten von Freundinnen, die mich am Alltag teilhaben lassen. Der Besuch für den Spieleabend, der sich reinschleicht, während man die Kinder ins Bett bringt, so dass man losspielen kann ohne selbst noch das Haus verlassen zu müssen. Oder neulich der Abend, als wir auf dem Wohnzimmerteppich zu viert bis 1 Uhr nachts die Zeit verquatschten, weil niemand nach Hause musste und die anwesenden Eltern ohne mit der Wimper zu zucken ihr Schlafdefizit weiterausbauten.
Vielleicht sind wir doch die Coolen, denke ich. Erstmal wieder.
Constanze Schulte, 25.02.2024