© Sarah von der Heide

Beobachtung

Ein Gedicht über die Last ungefragter Erwartungen und über die stille Kraft, die entsteht, wenn man beginnt, die eigenen Grenzen zu spüren.

Johanna Eckhardt

Sie fühlte sich zerrupft und zerfledert. Wie in einen Rahmen gespannt.

Weitergereicht von Hand zu Hand.

Von Blick zu Geste.

Wie genügen? Das schien die alles umfassende, schwer wiegende, das Genick brechende Frage zu sein.

Wie genügt man der einen umgebenden Realität.

Der einen aufsaugenden Bitte.

Den umformulierten flehentlich hervorgebrachten Ideen.

Den Sittenbildern, die in die DNA geschrieben, weitergereicht wurden.

Generationsübergreifend.

Unreflektiert.

Ungefragt.

Man hat es zu tun.

Hat es zu wollen.

Kinder. Garten. Haus. Mann.

In der umgekehrten Reihenfolge. Und im richtigen Alter. Mach es richtig. Mach es zum richtigen Zeitpunkt richtig. Oder lass es bleiben und sei falsch.

So – unausgesprochen – falsch. So – ausgesprochen – richtig.

Vorportionierte Scham. Von ihm für sie, von ihr für sie, aber am allerschlimmsten von ihr selbst für sie selbst.

Die Außenwelt beobachtet dich – jeden deiner Schritte. Ein Gedanke, der nicht von außen allein kommend

seinen ganzen Schrecken entfaltet – sondern erst dann, wenn er gesickert ist.

Wenn die Großmutter ihn beiläufig zum Grießbrei dazu an den Tisch serviert, wenn der Onkel ihn mit einer

Randbemerkung einstreut, wenn das eigene trainierte Wahrnehmen eine Richtung annimmt – die, die es darf.

Vorgezeichnet ist der Weg, den die Gedanken nehmen dürfen. Ausgetretene Pfade. Von Generation zu

Generation.

Da hast du dich darauf zu bewegen – sagt der eigene Kopf. Bis zwischen Wille und Gehorsam kein

nennenswerter Unterschied mehr besteht.

Bis das Ich und das Ich im Wir völlig austauschbare Größen geworden sind.

Jonglierbar.

Bis es nur noch das Ich im Wir gibt.

Nur noch das Wir.

Die Gruppe.

Die Herde.

Wer die Herde verlässt, der stirbt.

Wer sich wegguckt wird vergessen.

Schutz für die, die entsprechen.

Eine gefeierte Norm.

Der Zustand der perfekten Frau ist gebärend.