In der aktuellen Ausstellung im Kölner Projektraum mauer untersucht die Kuratorin Linda Peitz anhand fünf künstlerischer Positionen psychologische Mechanismen bestimmter Glaubenssysteme.
Mit der Künstlerin Lea Draeger spricht sie über deren Werkreihe der Ökonomischen Päpsten und Päpstinnen, die in der Gruppenschau zu sehen ist, und über die Machtdynamiken in der katholischen Kirche.
Linda Peitz: Deine Arbeiten beschäftigen sich mit dem Thema des Katholizismus. In der Ausstellung zeigst du rund 600 briefmarkengroße Zeichnungen von Päpstinnen aus einer Serie von insgesamt 5000 sogenannten Ökonomischen Päpsten und Päpstinnen. Wie bist du zur Auseinandersetzung mit diesen Figuren gekommen?
Lea Draeger: Ausgehend von familienbiografischem Material sind die Ökonomischen Päpste und Päpstinnen aus meiner Beschäftigung mit Katholizismus, mit hierarchisch geprägten Gesellschaften und Familienstrukturen entstanden. Der Papst als solcher eignet sich dafür hervorragend als Symbol für eine patriarchal geprägte Figur. Dabei sind meine Päpste keine Bildnisse tatsächlicher und historischer Vorbilder. Es sind die Gesichter und Figuren von Päpstinnen und Päpsten als institutioneller Körper in möglichen und unmöglichen Situationen – die segnende Päpstin, die gütige Päpstin, der betende, der heilende, der Füße waschende Papst, die wütende Päpstin, der böse, der nackte, der sexy, der Don- Quichotte-, der Gymnastik-Papst. Mein Papstsystem verstehe ich als Laboratorium. Es untersucht patriarchale Machtverhältnisse und Strukturen, hantiert mit deren Insignien und unterwandert sie gleichzeitig, spielt mit Kategorien und Identitäten und hebelt sie gleichzeitig aus. Nach den männlichen Päpsten traten in diesem System schnell die weiblichen Päpstinnen auf, erst in gängigen Frauenrollenbildern, dann begannen sie sich dagegen zu wehren und schließlich emanzipierten sie sich ganz davon. Das System entwickelt sich immer weiter und durchbricht seine eigenen Gewohnheiten.
LP: Wie kann man sich den genauen Entstehungsprozess der Zeichnungen vorstellen?
LD: Der Produktionsweg ist klar strukturiert und prozesshaft, die Themen folgen dem Fortgang der Zeit, sind unvorhersehbar, wendungsreich und unerschöpflich: Anfangs als Serie von 1000 ökonomischen Päpsten konzipiert, sind mittlerweile über 5000 briefmarkengroße Päpste- und Päpstinnenporträts entstanden, die eine Legion bilden. Manchmal ist der Titel der konkreten Zeichnung in meinem Kopf präsent, manchmal ist es genau umgekehrt und der Name folgt der Zeichnung. Was die konkrete Technik angeht: Ich zeichne mit blauem Kuli auf Transparentpapier, meist eine Szene aus mehreren Figuren. Daraus schneide ich dann ein oder mehrere briefmarkengroße Portraits aus, die ich wiederum auf Postkarten klebe. Diese Postkarte bekommt einen Clip-Rahmen, dessen Rückseite mit dem jeweiligen Titel versehen wird.
LP: Vorläufer deiner Zeichnungen sind deine Künstler*innenbücher Katholikenbus nach Lourdes (2014), Magdalenas alte Tante Maria (2015), Mutter Magda Märtyrerin (2015) und Jesus im Seniorenheim (2016) , die alle im Berliner Hybriden Verlag erschienen sind. Welche Bedeutung hat für dich die Verbindung zwischen Schreiben und zeichnerischer Arbeit?
LD: Für mich gehen Schreiben und Zeichnen Hand in Hand, was in den Künstler*innenbüchern am ersichtlichsten ist, da sie Zeichnung und Text verbinden. Bei den Zeichnungen der Päpstinnen und Päpste kommt dies unter anderem durch die Wichtigkeit der Titel zur Geltung. Bild und Wort können gegenüberstellt ihre jeweilige Bedeutungsebene unterwandern, sie können sich aber auch ergänzen und sich gegenseitig befruchten. Mein Schreiben ist sehr bildhaft, meine Zeichnungen sehr konkret. Aus meinen Künstler*innenbüchern hat sich schließlich mein erster Roman Wenn ich Euch verraten könnte entwickelt, der im Januar 2022 bei hanserblau erschienen ist. Er erzählt eine über drei Generationen reichende Familiengeschichte, deren zentrales Thema das Schweigen ist. Die Enkelin der Geschichte bricht dieses Schweigen mit Worten. Sie stellt sich der von patriarchaler Gewalt geprägten Familienvergangenheit, beginnt darüber und dagegen anzuschreiben. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte nämlich der Großvater, der Schriftsteller war, die Geschichte der Frauen geschrieben. Schreiben und Zeichnen sind für mich eine Art Selbstermächtigung über mich als Frau und über meine Geschichte. Sie sind meine Sprache.
LP: Jede deiner Päpstinnen hat einen Titel, sie heißen zum Beispiel Peschmerga Päpstin, Miss Piggy Päpstin oder Gemeinsame Kampfespäpstin. Welche Rolle spielen diese zusätzlichen Kategorien und Identitäten?
LD: Manchmal stimmen die Titel mit dem Abgebildeten überein, manchmal überhaupt nicht. Mich interessiert, wie sich die Wahrnehmung des Bildes verändert, wenn der Titel hinzukommt. Da ich sie auf die Rückseite schreibe, werden Bild und Titel immer zeitversetzt wahrgenommen und nachträglich zusammengesetzt. Gleichzeitig sehe ich die Titel auch als eine Art Dialog. Hängt man viele Päpstinnen nebeneinander, so entsteht über die Titel ein ausgedehnter, intensiver Dialog. Dieser Dialog lässt sich durch das stete Weiterführen der Anzahl von Päpstinnen steigern, Es ist sowohl ein gegeneinander als auch miteinander sprechen.
LP: Seit einiger Zeit befindet sich die Katholische Kirche in Köln wegen des Umgangs mit Fällen sexuellen Missbrauchs in einer schweren Krise. Wie lassen sich deine Arbeiten in Bezug zu solchen Vorkommnissen lesen?
LD: Dies geschieht ganz automatisch, da meine Arbeiten Missbrauch, Unterdrückung und das Verschweigen von Dingen thematisieren. Jede und jeder kann beziehungsweise wird sie in Bezug zu diesen konkreten Ereignissen setzen. Gleichzeitig gibt das von mir beschriebene Laboratorium auch Platz für Befreiung. Es sagt: Sprecht! Hört auf zu schweigen! Und es gibt Platz für Utopien, in dem diese patriarchalen Auswüchse überwunden werden. Jedenfalls arbeite ich daran.