Das ist sie also … die politische, soziale, kulturelle Situation, in der man sich als neue Mutter in dieser Zeit befindet. Bevor ich selbst Mutter war, habe ich mir nie die Frage gestellt, ob die viel beschworene Müdigkeit, das Abgekämpft-sein, die Erschöpfung der Eltern, die einem auf der Straße und im privaten Umfeld begegnen, vielleicht gar nicht so viel mit dem Baby und dem mangelnden Schlaf zu tun hat, sondern vielmehr damit, wie die Stadt und die Gesellschaft uns Eltern begegnet.
Mein Kind ist jetzt sieben Monate alt; Zeit also, eine kurze Bilanz zu ziehen. Bereits in der Schwangerschaft wurde es klar: ab jetzt werde ich konfrontiert sein mit einem ganz neuen Level an Mangel und Konkurrenz. Mangel und Konkurrenz in Feldern, die nicht meinen Beruf oder meine Karriere betreffen, sondern die Fürsorge mir und meinen Körper gegenüber, die uns als Familie im Werden und die Chancen auf Bildung und Teilhabe für mein Kind betreffen.
Es beginnt mit der Hebamme. Hebammen in Köln schreiben auf ihren Websites, dass mensch sie am besten kontaktiert, sobald der Schwangerschaftstest positiv ist. Unabhängig davon, was die ersten drei fragilen Monate einer Schwangerschaft verheißen – mit dem Risiko, dass die Schwangerschaft nicht bestehen bleibt. Nicht jede gebärende Person wird eine Hebamme finden – und schon gar nicht unbedingt eine, der sie* in einer der fragilsten Situationen im Leben, nach einer Geburt, auch aufrichtig vertraut.
Weiter geht es mit der Suche nach dem richtigen Krankenhaus und der Aussicht darauf, unter Wehen dort, wo mensch sich zur Geburt angemeldet hat, weggeschickt zu werden, weil der Kreissaal überfüllt sein könnte. (Es sollte dringend ein eigener Text dazu entstehen, was eigentlich gebären und die sogenannte Geburtshilfe in Deutschland bedeuten).
Ist das Baby auf der Welt, sollte die Registrierung auf dem Kita Portal der Stadt erfolgen: Unabhängig davon, ob schon klar ist, wie mensch sich seine Elternzeit in der Dauer vorstellt, ob schon klar ist, wann mensch im Kulturbetrieb in den nächsten befristeten Vertrag zurückkehrt. Die Kita will verbindlich angefragt sein. In pandemiegeprägten Zeiten bedeutete dies, sich für fünf Kitas anzumelden, die nicht zu besichtigen waren, geschweige denn, telefonisch oder schriftlich zu erreichen. So ergibt sich die Situation, mit einem Neugeborenen inklusive verletztem, sich von der Geburt erholenden Körper zu Hause zu sitzen und bereits ab diesem Zeitpunkt Angst darum zu haben, in einem Jahr ohne Betreuung dazustehen.
Beratungstermine sind zu diesem Thema bei der Stadt rar. Andere Eltern raten einem deshalb, mensch solle zu den Abholzeiten um die Kitas in der Nachbarschaft herumschleichen und dann im richtigen Moment Mitarbeiter*innen und/oder abholende Eltern abpassen, um über den netten, persönlichen Kontakt vielleicht doch ein Plätzchen zu bekommen. Netzwerken also … und zwar für den Kita-Platz … das kennen wir ja aus dem Kulturbetrieb.
Die Aussichtslosigkeit steigert sich, beginnt mensch mit dem nächsten großen Thema: Wohnraum für Familien. Schlicht nicht vorhanden! Thema ist bekannt, deshalb: hier geschenkt.
Was ich mir aber zudem wirklich nicht hätte vorstellen können ist, dass selbst die Plätze an weiterführenden Schulen in Köln in diesem Jahr per Tombola (!) verlost wurden. Hier kann man sich einen Bericht des WDR5 dazu anhören, hier kann man sich über die Initiative „die abgelehnten“ informieren – eine Initiative von Eltern, deren Kinder keinen Schulplatz bekommen haben.
Was das alles mit BÄM! zu tun hat?
So viel ist geschrieben worden über die Bedeutung von Kunst und Kultur, über ihre Systemrelevanz, über ihre Bedeutung für die Demokratie. Nun, mir stellen sich diese Fragen noch mal auf ganz andere Weise, wenn ich davon ausgehen muss, dass mein Kind in ein paar Jahren noch nicht einmal mit Sicherheit unbeschwert eingeschult werden kann. Wo liegen unsere Prioritäten als Gesellschaft, wenn grundsätzliche Rechte der künftigen Generation nicht gesichert sind? Umgeben von Krieg, von drohenden und vorhandenen Umweltkatastrophen, fehlendem Wohnraum, einer Politik, die sich der Herausforderung eines sich rapide verändernden Arbeitsmarktes mit allen sozialen Konsequenzen sehr lange verweigert hat – und dazu die Aussicht auf um Schulplätze konkurrierende Viertklässler*innen?
Was tun? Große Veränderungen müssen her! Ein großes Umdenken muss erfolgen! Starke Maßnahmen müssen ergriffen werden! Was können wir aber täglich, schon jetzt, für alle diese müden Eltern um uns herum tun?
Schiebt ihnen ihre Babys eine Stunde durch den Park, damit sie zum Friseur / zum Arzt gehen, zum Schreiben / Schlafen / in-Ruhe-etwas-aufräumen kommen können. Erwartet keine Gegenleistung und macht das sehr deutlich. Setzt euch in Bussen und U-Bahnen nicht auf die Plätze, die auch für Kinderwagen-Begleitpersonen reserviert sind. Seid aufmerksam an den zahllosen U-Bahn- und S-Bahn-Stationen in Köln, die keinen Aufzug haben, und fasst mit an. Wenn ihr Geschenke machen wollt, kauft nicht nach eigenen Vorlieben drauf los (auch wenn die Sachen noch so süß sind), sondern fragt, was wirklich gebraucht wird. Bietet an, kleine Recherchen zu übernehmen, die zeitraubend sind: nach guten und günstigen Kinderwagen, leihbaren Federwiegen, Autositzen, Beistellbetten, usw. Besucht eure neu gewordenen Eltern abends zum gemeinsamen Fernsehen gucken (Ausgehen ist am Anfang lange nicht drin, zu langen Gesprächen fehlt häufig die Kraft).
Und das Wichtigste: Verteilt großzügig Lob und Anerkennung für vermeintlich Selbstverständliches an die Mütter und Väter um euch herum! Denn, was diese Umstände mit neuen Eltern macht ist, dass der gesamte Prozess des in-die-neue-Rolle-Findens von Beginn an begleitet ist von Stress und Druck.
Es ist das eine, im Kunst- und Kulturbetrieb mit all seinen Herausforderungen tätig zu sein. Aber es ist noch einmal etwas ganz anderes, in diesem Feld zu funktionieren, wenn eine Familie gegründet ist und wenn die Voraussetzungen dafür, sich weiterhin für Kunst und Kultur aufreiben zu können, so stark wackeln, bedroht und umkämpft sind. Die fehlende Anerkennung für Care-Arbeit – in allen Bereichen – ist Realität! Das können wir gemeinsam jeden Tag ändern!
In diesem Sinne: Ein Hallo an alle neuen Eltern, ihr leistet großartiges, jeden Tag!