Editorial #63 – parallels between climate change and this war

Ein offensichtlicher Zusammenhang: Gas, Kohle und Öl, mit denen Russland den Angriffskrieg finanziert, befeuern gleichzeitig die Erderhitzung.

Nada Rosa Schroer

„I started to think about the parallels between climate change and this war and it’s clear that the roots of both these threats to humanity are found in fossil fuels,” sagte die ukrainische Meteorologin Svitlana Krakovska kurz nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine und benennt damit einen offensichtlichen Zusammenhang: Gas, Kohle und Öl, mit denen Russland den Angriffskrieg finanziert, befeuern gleichzeitig die Erderhitzung. Ich möchte dem einen weiteren Aspekt hinzufügen: Fossile Brennstoffe fördern neben dem Klimawandel auch den Machterhalt patriarchaler Regime und genderspezifischer Gewalt Dies wird momentan im Iran besonders deutlich, wo die Mullah-Oligarchie mit massiver Polizeigewalt gegen Protestierende vorgeht, die nach dem Tod der Kurdin Jina Mahsa Amini gegen den Staat und die Unterdrückung von FLINTA* auf die Straße gehen. Auch das Regime finanziert seine Strukturen zu einem großen Teil aus den Öl- und Gasverkäufen der staatlichen Ölgesellschaft NIOC (National Iranian Oil Company).

Zugleich bereiten sich Aktivist*innen in Lützerath auf den 1. Oktober vor. Dann beginnt die sogenannte Rodungssaison. Das bedeutet, dass der Energiekonzern RWE am Braunkohletagebau Garzweiler im Rheinischen Revier damit beginnen könnte, den letzten noch stehenden Bauernhof abzubaggern, um dort weitere Millionen Tonnen Kohle zu fördern. Wenn dies in vollem Umfang passieren sollte, wäre das 1,5 Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens nicht zu erreichen. Auch hier werden für Profite und Markterhalt eine Verschärfung der Klimakatastrophe in Kauf genommen. Was wiederum diejenigen am härtesten trifft, die über weniger Ressourcen zur Anpassung und geringere Mitbestimmungsmöglichkeiten verfügen als weiße cis-männliche Personen. In Zeiten sich verschärfender Konflikte sind diese Personen zudem häufiger von Gewalt betroffen – insbesondere BIPoC und FLINTA*.

Daher plädiere ich für eine dekoloniale, intersektionale und ökofeministische Perspektive auf den Klimawandel. Dekolonial, um die histporische Dimension zu berücksichtigen und um die historischen Nutznießer von Kolonialismus und Industrialisierung in die Verantwortung zu nehmen. Intersektional, um die Aufmerksamkeit in diesem Kontext auf die Stimmen und Kämpfe marginalisierter Gemeinschaften im Globalen Süden und hierzulande zu lenken. Und schließlich ökofeministisch, um die Gemeinsamkeit von geschlechtsspezifischer und ökologischer Gewalt herauszustellen, der wie Vandana Shiva herausgestellt hat eine Weltanschauung der Dualismen (Natur – Kultur/ Körper – Geist) und Beherrschung zugrunde liegt.

Vor dem Hintergrund fossiler Gewalt in Form von Krieg, Unterdrückung und Klimakatastrophe, frage ich mich als Kuratorin: Welche kulturelle und produktionsethische Verantwortung können Kunstinstitutionen und ich als Kulturschaffende tragen?

Seit einigen Jahren häufen sich auch im Kunstfeld die Bezüge zu ökologischen Diskursen. Zahlreiche Projekte gehen von der Frage aus, wie sie zu Transformation und Solidarität beitragen können. Doch ist es nicht mit dem Zeigen von und Reden über bestimmte Themen getan. Denn auch das globalisierte Kunstsystem ist eng verknüpft mit einer „imperialen Lebensweise“ (Ulrich Brand/ Markus Wissen), welche die sozialen und ökologischen Folgen seiner eigenen Produktionslogiken externalisiert. Man könnte dieses System in Anlehnung an Brand/Wissen auch als imperiales Kunstsystem bezeichnen: Eingebettet in Narrative und Finanzflüsse neoliberaler Industriegesellschaften, die auf Extraktivismus, Wachstum, Individualismus und Konkurrenz basieren, sind westliche Kunstinstitutionen abhängig von fossilen Infrastrukturen.

Die Frage lautet daher: Wie können institutionelle Handlungslogiken und Routinen unterbrochen werden, um die Kompliz*innenschaft und Abhängigkeit von einem System aufzukündigen, das Urheber multipler, miteinander verschränkter Probleme ist? Wie kann sich das imperiale zu einem konvivalen Kunstsystem[1] fortentwickeln?

Ich denke, dass die Kunstwelt mindestens auf zwei Ebenen auf die soziale und ökologische Krise reagieren kann.
Zum einen auf der symbolisch-repräsentaiven Ebene, auf der es um das Erzählen und Zeigen geht: Mit den Worten von Aktivistin und Organizer adrienne maree brown: „I believe that all organizing is science fiction—that we are shaping the future we long for and have not yet experienced. I believe that we are in an imagination battle (…).“[2] Wie, wenn nicht mit Kunst, können alternative Vorstellungswelten entwickelt und etabliert werden? Kunst kann sensibilisieren, Sichtbarkeit für Klimakämpfe schaffen und radikale Erzählungen von Kollektivität und mehr-als-menschlichen Beziehungen für eine klimagerechte Welt entwickeln.

Zum anderen auf handlungspraktischer Ebene: Genug geredet, Zeit n Aktion zu treten! Künstler*innen und Kurator*innen können hier einhaken, indem sie mit neuen Formen sozialer Praxis, materieller Produktion und Prototyping experimentieren und sich mit aktivistischen Anliegen verbinden. Und sich dabei beispielsweise von ökonomischen und ökologischen Ansätzen der Degrowth-Bewegung inspirieren zu lassen. Degrowth bedeutet nicht, weniger vom Gleichen zu tun. Es fordert den Status quo heraus und bietet einen Werkzeugkasten für transformativen Wandel und Dekarbonisierung. Das emissionsintensive „Betriebssystem“ des eigenen Ausstellungshauses zu hinterfragen und zu unterlaufen, versuchte beispielsweise die Ausstellung Down to Earth im Gropius-Bau. Ein guter Anfang, wie ich finde. Alexandra Papedemetriou hat darüber hinaus die Prinzipien der Degrowth-Bewegung auf die Kunstwelt übertragen und eine Degrowth Toolbox for Artistic Practices entwickelt. Sie schlägt vor, die Produktion von Kunst als Luxusgut genauso zurückzuweisen wie die Kultur der Konkurrenz und des Hyperindividualismus. Im Fokus stehen stattdessen: Der Aufbau von reproduktiven Ökonomien der Fürsorge, die Rückgewinnung alter – und die Schaffung neuer – Gemeingüter und die Suche nach Formen des genossenschaftlichen und gemeinschaftsorientierten Lebens und Produzierens. Dies spiegelte sich zum Beispiel in den methodischen Ansätzen von ruangrupa auf der documenta fifteen.

Entscheidend ist es, die notwendige Transformation ganzheitlich anzugehen. Weder ein rein manageriales Vorgehen, das sich nur um CO2-Bilanzen dreht, noch ein rein philosophischer Ansatz ist ausreichend. Der Wandel muss auf kultureller und auf materieller Ebene erfolgen und zwar dekolonial, intersektional und ökofeministisch. Dies impliziert Klimagerechtigkeit anstatt fossiler Abhängigkeiten, ein konvivales Kunstsystem anstatt imperialer Verstrickungen, Gemeinschaft statt Beschleunigung und Wachstum. Allen, die damit gleich anfangen wollen, sei hier noch abschließend ein Zitat der Schwarzen Science-Fiction-Autorin Octavia Butler mitgegeben, das an jeden Spiegel gehört: „We don’t have to wait for anything at all. What we have to do is start.“

Nada Rosa Schroer für And She Was Like: BÄM!


[1]​​ Das Konzept der Konvivialität stammt von dem Theologen und Sozialkritiker Ivan Illic, das er in seinem Buch Tools of Conviviality von 1973 ausführt. Für Illich ist die Konvivialität das „Gegenteil der industriellen Produktivität“. Es stellt eine Kritik an der Kommodifizierung, Entfremdung und Ausbeutung als Folge der Industrialisierung dar. Seine Vision einer konvivialen Gesellschaft beruht auf einem holistischen und interdependenten Zusammenleben von Menschen und Umwelt. In der Praxis bedeutet sie ein kooperatives, gegenseitiges, geselliges und gemeinsames Vorgehen.

[2] adrienne maree brown, Pleasure Activism: The Politics of Feeling Good, Chico/ Edinburgh, 2019.