Als ich 2019 ungeplant schwanger wurde, war ich bald fasziniert von dem Gedanken, dass sich in mir jemand ausbreitete, ein Wesen, das nicht ich selbst war. Mein Körper erweiterte, verdoppelte sich; ich teilte mich. Ich war gleichzeitig Viele und alle Geschlechter. Ich fühlte mich großartig.
„Willkommen im Club” begrüßt mich eine Nachbarin, auch Mutter, einige Tage nach der Geburt mit verschwörerischem Unterton in der Stimme, der mich sowohl verängstigt, als auch eine Art Stolz aufkeimen lässt. Ich fand mich nun also im Kostüm einer Mutter, als Teil einer heteronormativen weißen Partner*innenschaft wieder, innerhalb der mein Partner und ich plötzlich in den jeweils für uns vorgestanzten Rollen feststeckten. Hineingestolpert in die Privatheit des Haushaltens und Versorgens, ohne Arbeit, eigene Einkünfte und unbewusst einer Virilokalität [2] folgend – erst meine Schwangerschaft veranlasste den Umzug zu meinem Partner von Berlin nach Köln – verschwand ich in der Welt der Mutterschaft. [3] Ich steckte in der Phalle. [4]
Schon in der griechischen Idealgesellschaft, der Polis, die unserer bürgerlich-westlichen Gesellschaft als Vorbild diente, durften sich Mütter mit ihren Kindern nur in einem abgetrennten Bereich aufhalten und wurden ins Private ausgelagert. Frauen übernahmen die gesamte Care-Arbeit, was quasi ihre ganze Existenzberechtigung darstellte. [5] Daran hat sich bis heute nicht viel geändert und Mutterschaft wird nicht selten noch immer als Selbstverwirklichung missverstanden.
In dieser neuen Rolle schlug mein Gefühl einer körperlichen Stärke und Selbstbestimmtheit schnell ins Gefühl der Schwäche um; Ich repräsentierte eine Fraunerolle, einer gesellschaftlich unsichtbaren von ihrem Partner finanziell abhängigen Frau, zu der ich mich niemals aktiv entschieden hatte. Ich habe das nicht kommen sehen. Zumindest nicht so! Zwei Monate vor der Geburt hatte ich noch hochmotiviert mein Studium der Kunstgeschichte mit einer Arbeit über die Möglichkeit einer positiven queeren Weiblichkeit im Kunstschaffen abgeschlossen, war zu Vorstellungsgesprächen für ein Volontariat an zwei renommierten Museen gereist, bastelte außerdem an einem Exposé für eine Promotion. Zwar war ich schon damals nicht die Zielstrebigste, studierte erst Kunst in Praxis, dann in Theorie, ging meinen Weg nicht ohne Umwege und hatte meinen Fuß im Kunst- und Kulturbetrieb noch nicht fest verankert. Das machte die Situation noch komplexer und mein Verschwinden nur vorhersehbarer. Nun glitt mir also meine Verbindung zu Welt der Individuen, der Ichs völlig aus den Händen. Was wurde eigentlich aus meinen persönlichen Zielen?
Vor allem ältere Generationen, bestätigen mir nickend, lächelnd, dass mein nach außen sichtbarer Lebensentwurf der Richtige ist, wenn ich mit meinen beiden kleinen Kindern in Babytrage und Buggy durch die Straßen schiebe. So finde ich mich nach drei Jahren zwischen Zuhause, Kita, Spielplätzen und Supermärkten umherwandern, irgendwie verstummt und irgendwie aber auch noch immer brodelnd; nur mir fehlen die Worte. Irgendwie ist alles okay und sogar schön mit zwei Kindern zu leben und zu wachsen, gleichzeitig fühle ich mich fremdbestimmt und vor allem einfach erschöpft.
Als ich selbst ein Kind war, gab es in meinem Kindergarten die sogenannte Puppenecke. Dort spielten die hübschesten Mädchen aus meiner Gruppe. Sie besaßen alle Lackschuhe und hatten Schleifen in die Haare gebunden, manche trugen sogar schon funkelnde Ohrringe. Ich trug Cordhosen und in meiner Erinnerung zu oft den einen bunten Pullover, auf dem vorne und hinten ein großformatiger ausgewachsener Kater abgebildet war. Einmal von vorne und einmal von hinten. Achso: Niemals betrat je ein Junge die Puppenecke. Diese Ecke war die Utopie meiner Weiblichkeit und ich fühlte mich ausgeschlossen, da ich nicht „Mädchen“ genug war. Mein größter Traum war eine von ihnen zu sein, aufgenommen im Club der Puppenmütter. Später als ich etwas älter war, wurden meine Ziele nicht weniger durch konservative und sexistische Frauenbilder bestimmt. Zeitweise war mein Wunschberuf die Buchstabenfee, die bei der Fernsehshow Glücksrad die Zahlen umdrehte. Soviel zu meinen persönlichen Zielen damals. Irgendwie habe ich die Kurve ja doch noch gekriegt. Und irgendwie stecke ich da aber auch ganz schön drin, in der Puppenecke 2023.
Die Entfaltung meines eigenen Potenzials ist mir also nicht nur mein persönliches Anliegen, sondern ein politisches. Wer kann ich sein, wenn ich schon Mutter bin? Gibt es einen Weg für mich ohne das ständige Ringen darum, mich von der den Frauen zugeschriebenen Attributen zu distanzieren, um in einer für Männer gemachten Welt erfolgreich in einer für mich sinnvollen Weise zu sein? Was für ein Leben lebe ich meinen Kindern vor, je nachdem welchen Weg ich mit welcher Inspiration wähle? Wer können sie sein und werden, die, die in einer Welt, in der ein binäres Denken vorherrscht, schon ungeboren in Kategorien eingeteilt werden? Wie können sie ein selbstbestimmtes Leben führen, wenn sie schon im Sandkasten zu spüren bekommen, dass unsere Welt ihre patriarchale Ordnung durch Diskriminierungsformen wie Sexismus und Adultismus begründet?
Wenn meine Tochter im August zur Tagesmutter geht, bin ich arbeitslos, denn meinen Bürojob im Kulturbetrieb habe ich durch meine zweite Schwangerschaft verloren. Ich bin gespannt. Ich habe wieder dieses Gefühl, Viele(s) sein zu können.
Und warum berichte ich das alles überhaupt? Weil ich glaube, dass wir alle im Gespräch bleiben müssen.
Denn auch wenn ich hier vor allem meinen eigenen Weg reflektiere, dürfen wir nicht vergessen, dass all unsere Lebensentwürfe gesellschaftlich konstruiert sind und eben auch nur so geändert werden können. Gemeinsam.
Annika Albrecht für And She Was Like: BÄM!