»There is a crack in everything – that’s how the light gets in« (Leonard Cohen)

Neue Kollaborationen für den Kulturbetrieb

Zum Ende des Corona-Jahres 2020 erreichte uns die Frage: »Welche Kollaborationen wünscht ihr euch für die Zukunft?« Wir, das ist die Initiative And She Was Like: BÄM!,¹ die sich für einen intersektionalen Feminismus, Selbstbestimmung, Gleichberechtigung und Solidarität einsetzt. Was also sind »Kollaborationen« für uns und wie sollen diese künftig aussehen? Und zunächst vielleicht: Was bedeutet überhaupt der gerade in jüngster Zeit oft gelesene und gehörte Begriff für den Kulturbetrieb?

Tatsächlich handelt es sich ursprünglich um eine Bezeichnung aus der Kriegsrhetorik, der die strategische Zusammenarbeit mit einer feindlichen Partei beschreibt, sodass wir uns nun eigentlich zuallererst fragen müssen: Wer sind diese vermeintlichen Feind*innen? Wer soll sich verbünden? Oder besser: Wie können wir Kollaborationen als Mittel gegen Feindschaft und Konkurrenz einsetzen? Denn als feministische Initiative und als Akteur*innen im Kunst- und Kulturbetrieb wünschen wir uns, dass dieser offener, durchlässiger und transparenter wird. Wir wünschen uns, dass die Institutionen, die Kunst- und Kultur präsentieren, ihre Aufgabe als öffentlich getragene Häuser ernst nehmen – und damit in Programm, Publikum und eigenem Personal die Gesellschaft repräsentieren, die sie trägt.

Doch auch wir sehen durch das Brennglas, das die Pandemie auf herrschende Missstände im Kulturbetrieb gelegt hat. Bereits existierende Konkurrenzverhältnisse wurden verstärkt, prekäre Bedingungen verschärft – und eine Verbesserung der Lage ist vorerst nicht in Sicht. Wie wollen wir also zukünftig im und als Kulturbetrieb zusammenarbeiten, um mehr Verständnis und Akzeptanz zu erzeugen, um uns gegenseitig und somit den Kulturbetrieb insgesamt zu stärken?

Seit dem Bestehen von And She Was Like: BÄM! (2015) haben wir mit vielen vermeintlich gegensätzlichen Akteur*innen gearbeitet, auf Podien diskutiert, Weiterbildung betrieben, Texte und Magazine publiziert, Stammtische, Workshops und Abendschulen veranstaltet, also kurz »kollaboriert«. Unser Ziel dabei ist es stets, Orte zu erproben und Räume zu eröffnen, in denen ein offener Austausch stattfindet, der uns inspirieren, uns verändern und uns vom Denken zum gemeinsamen Handeln bringen kann. Aus unseren eigenen Erfahrungen der letzten Jahre können wir nur fordern, dass wir mutig sein und uns gegenseitig zuhören müssen:

Die institutionell geförderten Häuser den Menschen in ihrer Stadt, die Akteur*innen in diesen Häusern, jenen in der sogenannten freien Szene, die Kulturpolitik, den Vereinen und Initiativen, lokale Künstler*innen, jenen, die neu hinzukommen, Feminist*innen der ersten Stunde, jenen, die heute aktiv sind – es gibt so viel Wissen zu teilen und so viele Möglichkeiten, daran zu wachsen!

 

Kultur der Konkurrenz

Noch vor wenigen Jahrzehnten befand sich der Kunst- und Kulturbetrieb fest in der Hand weißer, heteronormativ geprägter cis-Männer. Vieles hat sich seither verändert und ist in Bewegung geraten. Eine Kulturlandschaft ganz ohne Frauen in entscheidenden Positionen kann sich heute glücklicherweise kaum noch jemand vorstellen.

Wenngleich Themen wie Geschlechtergerechtigkeit, Gender-Pay-Gap und Sexismus immer noch traurige Aktualität haben und wir zukünftig an vielen kleinen und größeren Rädern werden drehen müssen, bedeutet tatsächliche Gleichstellung jedoch noch viel mehr als eine Männer-Frauen-Balance. Unsere Gesellschaft besteht aus Personen mit wesentlich komplexeren Identitäten als der Binarität männlich-weiblich, sie ist geprägt von unterschiedlichen Erfahrungen und Perspektiven. Um diese Gesellschaft zusammen zu halten und gerechter zu machen, müssen wir Wege finden, diese Diversität anzuerkennen und zu vermitteln. Eine lebendige, aktive, visionäre Kunst- und Kulturlandschaft kann nur entstehen, wenn nicht eine relativ kleine und homogene Gruppe von Menschen »Kultur für« eine sehr viel größere und sehr viel heterogenere Gruppe macht. In der Zukunft hat daher Intersektionalität #neueRelevanz.

 

Kernproblem: Das eigene Haus

Genauso wie ein erfolgreicher Feminismus kein Kampf von Frauen gegen Männer sein kann, kann die Forderung nach Teilhabe und Diversität nicht auf Konkurrenzkämpfen beruhen. Genau dies scheint jedoch ein Kernproblem zu sein. Eine Studie zur Relevanz und Umsetzung von Diversität² in 262 vom Land geförderten Kulturinstitutionen NRW zeigte 2019, dass Diversität zwar als wichtig erachtet wird, Anspruch und Realität in vielen Fällen jedoch weit auseinanderklaffen. Ausgerechnet bei den eigenen Strukturen bleibt man zögerlich und so wird Kultur an den entscheidenden Positionen weiterhin größtenteils von Menschen gemacht, die zur Mehrheitsgesellschaft gehören.

Warum ist das so? Die Erklärung scheint gerade in der aktuellen Situation auf der Hand zu liegen: Neben den prekären Arbeitsbedingungen im Kulturbetrieb und dem daraus entstehenden kapitalistisch geformten Konkurrenzdruck, der Solidarität verhindert und Akteur*innen vereinzelt, liegt es möglicherweise auch in einem Ausschluss nicht-eigener Perspektiven. In einem Kulturbetrieb, der von Akteur*innen getragen wird, deren Fokus schon allein bedingt durch die universitäre und akademische Ausbildung ein eurozentrischer ist, bedeutet Diversität auch eine Verschiebung dessen und möglicherweise eine Marginalisierung der eigenen Perspektive und Expertise. Die im Verborgenen wirkenden Ablehnungsmechanismen gründen auf der Angst, dass sowieso schon begrenzte Ressourcen, wie zum Beispiel Fördermittel, mediale Aufmerksamkeit oder Publikum geteilt werden müssen, auf der Angst, dass das eigene Wissen an Bedeutung verliert. Der fehlende Mut, eigene Privilegien und die Deutungshoheit abzugeben, verstellt auch hier, wie in so vielen anderen gesellschaftlichen Bereichen, den Blick auf das Potential von Veränderung.

 

Kollaborationen der Zukunft

Unsere Forderung nach mehr Offenheit geht deshalb dringend einher mit der Forderung, unseren Blick auf die Chancen zu richten. Was wäre, wenn nicht nur die Programmabteilung des Konzerthauses Stücke aussuchen würde, sondern auch Mitarbeiter*innen und Musiker*innen? Oder wenn ethnologische Museen in Deutschland sich bei den zahlreichen migrantischen Selbstorganisationen darüber erkundigen würden, wie die nächste Dauerausstellung zu gestalten sei?

Stellen wir uns vor, in den Theatern würden divers besetzte Teams, ganze Ensembles, ihre Intendant*innen, Regisseur*innen und Autor*innen gemeinsam Stücke auf die Bühne bringen, die nicht ausschließlich zu einer weißen, europäischen Identitätskonstruktion gehören, sondern auch solche, die für andere Teile der Bevölkerung maßgeblich Kulturgeschichte geprägt haben. Wie sähen die Theater, Museen, Konzerthäuser, die Archive und Bibliotheken der Zukunft aus und wer würde sie besuchen? Welche Institutionen, Netzwerke und Räume gäbe es, die wir heute noch gar nicht denken können?

Unser Wunsch ist es, dass wir diese Potenziale erkennen und nutzen. Wir plädieren also für Risse und Öffnungen, für ungewöhnliche Gespräche, ungeahnte Begegnungen, formellen und informellen Austausch, für das Hereinlassen vieler unterschiedliche Perspektiven – voller Vertrauen darin, dass nur gemeinsam etwas Neues entstehen kann.

zuerst veröffentlicht auf dem Blog #neueRelevanz der Kulturpolitischen Gesellschaft e.V. und in: Systemkritik! Essays für eine Kulturpolitik der Transformation, transcript Verlag 

¹ Weitere Informationen zur Initiative: »And She Was Like: BÄM! e.V.« unter: www.andshewaslikebam.de

² Vgl. Barz, Heiner (Zukunftsakademie NRW): Vielfalt im Blick. Diversität in Kultureinrichtungen (Stand: 2019). https://www.stiftung-mercator.de/content/uploads/2020/12/zak_nrw_vielfalt_im_blick.pdf [15.11.2022].