Immer häufiger habe ich in Arbeitsmeetings erlebt, dass mein Gegenüber mir direkt zu Beginn oder auch im späteren Verlauf des Gespräches mitteilte: „I’m on my period / Ich wollte Ihnen gleich Bescheid geben, ich hab PMS-Beschwerden, also nicht wundern wenn ich ab und zu etwas abwesend wirke / Entschuldige, wenn ich alle 15 Minuten den Raum verlassen werde, ich blute zur Zeit so stark, dass ich drei bis viermal die Stunde den Cup leeren muss / Sag, du hattest in dem Nebenraum dort doch dieses bequeme Sofa, macht es dir etwas aus, wenn wir uns dort unterhalten und ich mich kurz ablege?
Diese einleitenden Worte, Kommentare über die eigene gegenwärtige psychische und physische Verfassung, die ich bald auch für mich etablierte, funktionieren wie das initiale Abstecken eines Spielfelds. Kleingedrucktes, Informationen am Rande, die man zu Beginn der sozialen Situation, in die man sich neu begeben hatte, anmerken und mit einbezogen wissen wollte. Codierungen, die einen neuen, sicheren Raum eröffnen und ein einvernehmliches Setting erschaffen. Neue Möglichkeiten, die Vertrauensebenen und zumindest unter Menstruierenden ein wirkliches Mitempfinden gewährleisten können. Den meisten Personen würde man ohne diese Selbsteinordnung vermutlich nicht ansehen oder anmerken, in welcher Phase ihres Zyklus sie sich befinden, unter welchen Verstimmungen, Schmerzen und Einschränkungen sie leiden, ohne die Miene zu verziehen oder ein Wort zu verlieren. Möglich gemacht durch die Medikamentierung der Menstruation und ihre generelle Tabuisierung sowie dank jahrelanger Selbsttrainings des Aushaltens, Ausharrens, Unterdrückens und Kaschierens. Die ständige Selbstfürsorge-Verpflichtung und die damit verbundene Verfügbarkeit und Organisation führen zu einem ähnlichen Verhalten vieler Menstruierender. Mit organisatorischer Verpflichtung in diesem Zusammenhang ist unter anderem die Suche nach WCs im öffentlichen Raum gemeint, um rechtzeitig Hygieneartikel wechseln zu können. Hinzu kommt der finanzielle Aspekt: Schmerzmittel und Tampons bleiben in Deutschland teuer, trotz Mehrwertsteuersenkung ab Januar 2020 (Ergebnis der Petition „Die Periode ist kein Luxus“).
Ich nehme mich rückblickend in 15 Jahren als menstruierende Person oft als herumtänzelnde, ungelenke Figur war. Mich verbiegend, die Beine krampfhaft eng verschlungen, um ein helles Sofa fast nicht mit dem direkten Genitalbereich berühren zu müssen. An der roten Ampel steige ich nicht ab vom Fahrradsattel, um den vollgebluteten Hosenboden den unbekannten Mitmenschen neben mir vorzuenthalten und balanciere stattdessen das Rad auf der Stelle, bis es Grün wird, und rutsche dabei auf meinem blutigen Gesäß hin und her. Ich drehe mich von meinen Freundinnen weg, um das lästige Tamponbändchen unbemerkt und klammheimlich in die Bikinihose zurückzubefördern. Später liege ich alleine auf dem verschmutzten, kalten Boden einer Freibadumkleidekabine mit den Beinen an der Wand, um meinem wütenden, tosenden Unterleib fünf Minuten Entlastung zu gönnen.
Deutschen Studien und Statistiken zur Folge leiden bis zu 80 Prozent aller Personen mit einem Uterus in der Altersspanne zwischen 15 und 49 Jahren (das laut dem Statistischen Bundesamt als „gebärfähiges Alter“ gilt) unter leichten bis mäßig starken Periodenschmerzen. Eine Studie der Techniker Krankenkasse kam zu dem Ergebnis, dass etwa 10 bis 20 Prozent biologisch weiblicher Personen so stark unter Periodenschmerzen leiden, dass sie in der entsprechenden Zeit ihren normalen Alltag nicht mehr bewältigen können. Zudem unterliegen viele Betroffene nicht nur den monatlichen, schmerzhaften Regelblutungen (Dysmenorrhoe), sondern auch maßgeblichen Beschwerden um die Zeit des Eisprungs. Die Leiden äußern sich als zyklusbedingte Migräne, depressive Verstimmungen, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall und Müdigkeit, oder als das sogenannte Prämenstruelle Syndrom (PMS). Laut RKI leiden 15 Prozent aller Menstruierenden außerdem unter der oft chronisch verlaufenden Krankheit Endometriose, die nicht nur während der Periode qualvolle Unterleibsschmerzen verursacht und allgemeinmedizinisch zwar als eingeschränkt behandelbar, jedoch nicht als heilbar gilt.
Der „Periodenurlaub“ ist ein Begriff, der im Frühsommer 2022 in der Presse kursierte. Das spanische Kabinett legte als erstes europäisches Land einen Gesetzentwurf für einen Menstruationsurlaub vor. In Ländern wie Sambia, Japan, Taiwan, Südkorea und Indonesien gibt es dieses entlastende Konzept bereits. Nach Vorlage eines jährlich zu erneuerndem ärztlichen Attestes sollen Frauen drei (oder bei starken Schmerzen bis zu fünf) zusätzliche bezahlte Urlaubstage monatlich nehmen können. Betroffenen Personen würde dadurch die Möglichkeit gegeben, die Schmerzen zuhause auszukurieren. Dieser „Menstrual leave“ solle auch dazu beitragen, die Periode zu entstigmatisieren und mehr Sichtbarkeit für den biologisch weiblichen Zyklus, die Menstruation und damit einhergehenden Beschwerden und Einschränkungen in der Gesellschaft zu gewährleisten. Der Entwurf wurde über die Ländergrenzen hinweg kontrovers diskutiert, kritische Stimmen meinen, eine derartige Gesetzesänderung könnte das Gegenteil einer Enttabuisierung bewirken und Frauen auf dem Arbeitsmarkt benachteiligen. Zudem wird der Begriff „Periodenurlaub“ von vielen Seiten kritisch angesehen, da er suggeriere, dass es sich bei Periodenschmerzen um eine Lappalie handelt, die mit Urlaub vergleichbar sei und reiht sich damit in eine Reihe problematischer und diskriminierender Begrifflichkeiten wie „Frauenleiden“ (in Abgrenzung zu Krankheit) und „Frauengesundheit“ (in Abgrenzung zu Gesundheit) ein.
Der menstruationsbedingte Krankheitsurlaub ist meines Erachtens nur eine kurzfristige und partielle Lösung. Der biologische Zyklus und die damit verbundenen Leiden sind bis heute nur wenig erforscht und die bisherigen Erkenntnisse liegen (wie der gesamte „Gender Data Gap“ (Caroline Criado-Perez)) als Informationslücke über cis-weiblichen und trans Körpern innerhalb einer patriarchalen Machtstruktur. Die Erforschung der weiblichen Biologie konzentrierte sich spätestens seit der griechischen Antike und den Anfängen der Medizin auf die medizinisch „fehlerhaften, unvollkommenen und ungenügenden“ Unterschiede zum männlichen* Körper. Ihre Ergebnisse manifestierten die Fähigkeit und Pflicht zur Fortpflanzung und die daraus resultierende untergeordneten Stellung der Frau. In der christlich geprägten, anglozentrischen Gesellschaft lieferte die prominente Herausarbeitung des Sündenfalls die Erklärung für alle körperlichen Qualen in der Bibel und gab der misogynen und transphoben Norm so ihr Gütesiegel. Gleichzeitig ist ein tiefgehendes Misstrauen gegenüber Frauen und ihren Schmerzen seit Jahrhunderten fest in die Medizin eingeschrieben. „Im Androzentrismus haben Männer nicht nur sämtliche Macht und allen Einfluss, die Menschen werden zudem rein aus männlicher Perspektive und nach männlichen Maßstäben bewertet.“ (Elinor Cleghorn) Der Ausschluss von Frauen aus der medizinischen Forschung muss auch intersektional betrachtet werden. An medizinisch-wissenschaftlichen Studien nehmen dreimal weniger Personen mit weiblichen Geschlechtsmerkmalen teil als jene mit männlichen. Schwarze Frauen und transgender Personen kommen in den Studien beinahe gar nicht vor. Ergebnisse klinischer Studien wurden selbst dann als für Männer und Frauen gültig präsentiert, wenn Frauen nicht an den Studien teilgenommen haben. Weibliche (menschliche und tierische) Körper seien zu komplex, zu variabel, zu wenig linear und dadurch zu teuer, um etwa in Medikamententests einbezogen zu werden.
Wir leben in einer von cis Männern für cis Männer gebauten Welt. Die Städte, Arbeitsorte, Straßen, öffentliche Plätze sind für einen linearen Körper erdacht und erbaut, der jeden Tag gleich sitzen, gleich auf die Toilette gehen, gleich lang arbeiten, hinter einer Theke stehen oder durch kalte/heiße Straßen laufen und dabei die gleichen Temperaturempfindungen haben kann.
Dem medizinischen Sexismus muss ein Ende gesetzt werden und die Forschung muss dem, was wir über unsere Körper berichten, Gehör und Glauben schenken und „Kraft, Zeit und Geld darauf verwenden, die ungeklärten medizinischen Rätsel unserer Krankheiten endlich zu lösen!“ (Elinor Cleghorn) Und gleichzeitig muss für den Zyklus und die Menstruation, die die Hälfte der Weltbevölkerung für viele Jahre ihres Lebens begleitet, ein anderes Umfeld geschaffen werden, damit Schmerzen sich durch äußere Einflüsse lindern lassen und besser behandelbar werden. Aber auch, damit die großen Potenziale ihres Daseins, wie monatliche Erneuerung, zyklische Pluralität, kreativer Aufschwung, Rehabilitation und die Fähigkeit der meisten Personen, je nach Zyklusstadium fertil oder infertil und als Gesamtkörper beides in einem zu sein, von der Gesellschaft, aber vor allem von den zyklisch lebenden Personen selbst erkannt und zelebriert werden können.